Paris, 2 - 6 April 2000

Kurzbericht und State of the art
"Evolution of Language"

Die französische Telecom und Sony waren die Haupt-Sponsoren einer mustergültig organisierten Tagung von 170 Experten im weiten Feld der Sprachursprungstheorien.

An vorderster Front standen diesmal die Affenforscher Sue Rumbaugh, Frans de Waal und Herbert Terrace. Die beiden letzteren vertreten die mit enormer Datenfülle unterlegte Meinung, dass zumindest die großen Menschenaffen alle Prärequisiten für eine Symbolsprache hätten, und zwar "politische" Strategien, Werkzeuggebrauch und reziproken Altruismus. Aus unerfindlichen Gründen sind sie aber nicht zur Vereinigung dieser modulartigen Teilfähigkeiten imstande.

Sue Rumbaugh, mit ihren Videos der Bonobo-Stars Kanzi und Panpanisha, hofft, mit Liebe und intensivem Training von Zeichentechniken, zumindest diese Schimpansenart an menschliches Sprach- und Sozialverhalten (!) heranführen zu können. Sie steht damit allein auf weiter Flur, verständliche Sprachlaute z.B. werden Affen selbst nie produzieren können. (Leider war Irene Pepperberg mit ihrem Papagei Alex nicht bei der Tagung).

Eine bemerkenswerte Renaissance der gestischen Ursprungstheorie der Sprache scheint Michael Corballis einzuleiten. Viele seiner Argumente sind von seinen zahlreichen Vorläufern entlehnt, allerdings lassen die Grammatik enthaltenden, hoch entwickelten Zeichensprachen der Blinden und privaten Zeichenverwender sowie neuere experimentelle Befunde die Skepsis der letzten Jahrzehnte fast vergessen.

Breiter Raum war dem Modellieren eingeräumt, viele artificial intelligence-, Robotik- und Syntaxexperten diskutierten digital und analog über einfachste Grammatiken und die letzten Chomsky-Verzweigungen.

Zwiespältig ist das Echo auf die Annahme eines Zwischenstadiums zwischen den einfachen Warnrufen von Makaken und unserer komplexen Symbolsprache, einer sog. Protolanguage. Derek Bickerton, einer der führenden Linguisten in Pidgin-und kreolisierten Sprachen, war mit dem Neurowissenschaftler William Calvin erschienen. Im Buche vereint, hielten sie doch sehr getrennte Vorträge, wobei Bickerton seinem Neurokollegen in biologischer Theoriebildung in nichts nachstand: Futtersuche und Vermeidung von Freßfeinden hätten die Selektionsbedingungen für die beschworene Protosprache abgegeben.

Die Tagungsatmosphäre war angenehm entspannt, der frühere Argwohn geisteswissenschaftlich orientierter Linguisten gegenüber naturgeschichtlicher Quellensuche ist freundlichem Dialogverhalten gewichen.

Sollte das neue Jahrhundert, wie beim Weltkongreß für Semiotik in Dresden postuliert, eines der Biologie und der Semiotik werden, so hat die Pariser Tagung die erste Hälfte dieser Forderung bereits erfüllt.

Anton Fuerlinger
Wien, 11.4.2000
(unpubliziert)

 
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